25
Ehe er den Salon der Castellis betrat, hatte er nicht erwartet, Serena inmitten einer Verehrerschar anzutreffen, und sich statt dessen ein poetisches, sentimentales Wiedersehen ausgemalt. Sie bemerkte ihn nicht einmal, weil sie gerade über den Scherz eines Bewunderers lachte. Von heißer Eifersucht erfaßt, mußte er sich zwingen, Julias freundlichen Gruß einigermaßen höflich zu erwidern. »Ich kam erst heute nachmittag an«, beantwortete er ihre Frage. »Darf ich Ihnen unseren Generalkonsul, Mr. Winthrop, und Vater Alegini vorstellen?« Sein Blick schweifte sofort wieder zu Serena hinüber. »Offenbar hat Miss Blythe die Reise gut überstanden«, murmelte er erbost.
»O ja, und wir können Ihnen gar nicht genug für die Rettung unserer Freundin danken«, erwiderte Julia, der sein Groll entging. »Sie erwähnte zwar keine Einzelheiten, aber Sie haben in Mailand sicher eine wesentliche Rolle bei ihrer Befreiung gespielt, Lord Rochefort.«
»Nun ja, ich half ihr ein bißchen. Verzeihen Sie, daß ich hier einfach hereinplatze, Signorina Castelli, und erlauben Sie mir, Ihnen ein paar Blumen zu überreichen.« Schon wieder warf Serena den Kopf in den Nacken, um schallend zu lachen. Und da sich ein junger blonder Mann hingerissen zu ihr neigte, war Beau nicht mehr gewillt, sie mit Blumen zu umwerben.
»Wie nett von Ihnen!« Entzückt nahm Julia drei große Buketts entgegen. »Sie sind uns selbstverständlich jederzeit willkommen, Lord Rochefort. Wenn sich’s Ihre Gäste bequem machen möchten – da drüben auf dem Tisch neben der Plato-Büste steht eine Karaffe Sherry. Inzwischen führe ich Sie zu Serena.«
»Danke, ich warte lieber, bis sie nicht mehr so beschäftigt ist.«
Julia lächelte. »Da müssen Sie lange warten. Sie wird stets von Verehrern belagert.«
»Dann hoffe ich auf eine Gelegenheit, Miss Blythes Konversation zu unterbrechen. Bitte, kümmern Sie sich um Ihre anderen Gäste. Mittlerweile werde ich Ihre Gemälde betrachten, um mir die Zeit zu vertreiben.« Beau erklärte dem Generalkonsul und dem Priester, sie würden noch eine Weile hierbleiben, zog sich in eine stille Ecke zurück und beobachtete Serena.
Da ihr mehrere Männer die Sicht versperrten, hatte sie ihn noch immer nicht entdeckt. Julia hätte sie gern auf seine Anwesenheit hingewiesen. Doch sie mochte seine Wünsche nicht mißachten. Etwas unbehaglich sah sie ihn bei der Bibliothekstür stehen, an die Wand gelehnt, mit eisiger Miene.
Schließlich verlor er die Geduld und ging zu Serena. Seinen Plan, behutsam um sie zu werben, hatte er längst vergessen. Bei seinem Anblick verstummte sie abrupt, und ihre Gesprächspartner wandten sich erstaunt zu ihm.
»Würden Sie mir ein paar Minuten Ihrer kostbaren Zeit opfern, Miss Blythe?« bat er tonlos. Ohne eine Antwort abzuwarten, packte er ihren Arm und wollte sie wegziehen. Aber der junge Bildhauer Sandro berührte seine Schulter. »Vielleicht hat die Dame keine Lust, Sie zu begleiten.«
»Wir sind alte Freunde«, entgegnete Beau. »Miss Blythe, bitte erklären Sie den Herren, wie gut wir uns kennen.« Kampflustig schüttelte er Sandros Hand ab.
»Schon gut, Sandro«, sagte Serena, die eine unangenehme Szene befürchtete. »Gleich bin ich wieder da.«
»Vielleicht auch nicht«, meinte Beau gedehnt und führte sie in die Bibliothek.
»Niemand hat dich hierher eingeladen!« fauchte sie.
»Allzulange hast du nicht gebraucht, um dich ins Gesellschaftsleben zu stürzen«, bemerkte er und musterte ein toskanisches Landschaftsgemälde, das zwischen zwei Bücherregalen hing.
»Ich hatte nie die Absicht, ein einsames Dasein zu fristen. Und ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Außerdem hast du verkündet, du könntest dich nicht mit einer einzigen Frau begnügen, und ich umgebe mich gern mit mehreren Männern.«
»Zum Teufel mit diesen Männern!« Plötzlich umfaßte er ihre Arme und preßte sie gegen ein Regal. »Ich bin hiergekommen, um dich zu heiraten, verdammt noch mal!«
»Was für ein bezaubernder Antrag!« spottete sie.
»Sag einfach ja, dann verschwinden wir.«
»Aber ich möchte dich nicht heiraten.« Nach seinem Tonfall zu urteilen, hielt er nicht unbedingt aus Liebe um sie an. Und er plante wohl ebensowenig, ihr treu zu bleiben.
»Da, nimm diese Ringe.« Beau zog zwei Etuis aus seiner Tasche und drückte sie in ihre Hand.
»Die will ich nicht.«
»Und was willst du?«
»Was du mir nicht geben kannst – deine Liebe.«
»Ich dachte, das hätten wir bereits erörtert.«
»Allerdings, und darin liegt das Problem, Liebling.«
Obwohl sie das Kosewort sarkastisch aussprach, fühlte er sich ermutigt. »Inzwischen habe ich erkannt, daß ich dich liebe.«
Ihr Atem stockte. »Leider genügt das nicht. Du müßtest nur mich lieben.«
»Oh, das fällt mir leicht«, versicherte er einschmeichelnd, »weil ich nie zuvor eine Frau geliebt habe. Sag ja! Der Generalkonsul und ein Priester sind da, die Heiratserlaubnis steckt in meiner Tasche.«
»Und all die anderen Frauen?«
»Die existieren nicht mehr. Zufrieden?«
»Wie lange wird dieser beglückende Zustand dauern? Bis dir die nächste über den Weg läuft, die dich reizt?«
O Gott, wie sollte er sie überzeugen? Aus einem Impuls heraus zerrte er sie zur offenen Tür und rief: »Sie erwartet ein Baby von mir und weigert sich, mich zu heiraten!«
»Wieso weißt du das?« würgte sie hervor.
Unbändige Freude erhellte sein Gesicht. »Das wußte ich nicht. Ich hab’s nur behauptet, damit deine Freunde dich zur Hochzeit drängen … Nur ein Scherz«, erklärte er den sichtlich schockierten Leuten, die sich an der Tür versammelten.
»Nun mußt du mich heiraten«, flüsterte er an Serenas Lippen, »weil wir ein Baby bekommen.«
»Das ist kein Heiratsgrund.«
»Oh, doch.«
»Wenn du mich betrügst, bringe ich dich um.«
»Und ich dich, solltest du es wagen, einen anderen Mann auch nur anzuschauen … Nein, ich werde dich nicht töten. Statt dessen sperre ich dich auf einem meiner Landgüter ein, bis ans Ende deiner Tage.«
»Also haben wir uns verstanden?«
»Vollkommen. An diesem Abend beginnt ein neues Leben.«
»Vielleicht wird’s dir sogar gefallen.« Durfte sie wirklich an ihr Glück glauben?
»Es gefällt mir schon jetzt. Eine Ehefrau und ein Baby – und das alles auf einmal …«
»Aber du kannst mich nicht kaufen, Beau, so wie du alles in deinem Leben gekauft hast.«
»Als ob ich das nicht genau wüßte! Sonst hätte ich dich schon vor Monaten zu meiner offiziellen Geliebten ernannt.«
»Und ich bleibe in Florenz, bis ich mein Kunststudium beendet habe.«
»Darf ich auch was dazu sagen? In ein paar Wochen werden die Franzosen über Florenz herfallen.«
»Darüber reden wir später.« Zum erstenmal, seit sie sich wiedergesehen hatten, lächelte sie.
»Wann?«
»Heute nacht.«
»Nach der Hochzeit?«
»Später.«
»Also in unseren Flitterwochen?« »Wenn wir Zeit dazu finden. Wie du weißt, bin ich sehr anspruchsvoll.«
»Ja, ich erinnere mich vage.«
»Stört’s dich?« wisperte sie.
»Stets zu deinen Diensten, Liebste. Mein Herz gehört dir. Für immer.«
»Und du besitzt meines, seit ich dich zum erstenmal sah.«
»Sei versichert – ich werde dich niemals betrügen.«
»Was für ein großzügiges Geschenk …« Tränen schimmerten in ihren Augen.
»Von jetzt an wird nur eitel Sonnenschein herrschen, für uns und das Baby.«
»Auch das Baby wünsche ich mir schon so lange – seit Menorca. Aber damals wolltest du keins.«
»Mittlerweile habe ich mich anders besonnen.«
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Hast du schon Kinder?«
»Nein, daran war keine meiner Freundinnen interessiert.«
»Werden sie überrascht sein?«
»Vermutlich«, erwiderte er, obwohl er wußte, daß ganz London kopfstehen würde.
»Sollen wir aufs Land ziehen, um deinen ehemaligen Gespielinnen zu entfliehen?«
»Mal sehen.« Auf dem Land würden ihm die Frauen genauso nachstellen wie in der Stadt. »Inzwischen weiß ich, wie man nein sagt. Natürlich erwarte ich das auch von dir, falls man dir unsittliche Anträge macht.«
»Oh, ich weiß es ebensogut.«
»Tatsächlich? Wann hast du’s denn gelernt?«
»Soll ich mich entschuldigen? Wirfst du mir etwa vor, daß ich dich unwiderstehlich finde?«
Grienend schüttelte er den Kopf und küßte sie. »Seit wann ist es hier so still?« Er drehte sich um und entdeckte die interessierten Zuschauer. »Haben die noch nie einen Mann und eine Frau in vertraulichem Gespräch gesehen?« »Mit deiner Behauptung, ich sei schwanger, hast du ihre Neugier erregt.«
»Gib mir bitte die Ringe!« Er nahm ihr die beiden Etuis aus der Hand, öffnete sie, steckte ihr dann den Diamant und den Saphir an. »So, jetzt sind wir ganz offiziell verlobt.«
»Und wie lange wird die Verlobung dauern?«
»Viel zu lange – zehn Minuten, vielleicht elf … Und lächle deinem hingerissenen Publikum zu!« befahl er und führte sie zu den Gästen. »Soeben hat Miss Blythe mir die Ehre erwiesen, meinen Heiratsantrag anzunehmen. Sie sind alle zu unserer Hochzeit eingeladen, die sofort stattfinden wird.«
Verdutzt schnappten sie nach Luft.
»Wenn es die Castellis gestatten, ihren Salon zu benutzen«, fügte Beau hinzu, und Julia nickte freudestrahlend.
»Wir können erst anfangen, wenn Signora Calvacanti hier eingetroffen ist. Seit Tagen versuchte sie, mich unter die Haube zu bringen. Sie darf unsere Hochzeit nicht versäumen.«
»Mit wem wollte sie dich denn verheiraten?« fragte Beau mißtrauisch.
»Mit Sandro. Aber das spielt jetzt überhaupt keine Rolle mehr.«
»Hoffentlich. Bleib bloß an meiner Seite!« warnte er. »Bevor weitere Kandidaten auftauchen …«
»Keine Bange, ich habe mich bereits entschieden – für dich, mein Liebster.«
»Wie glücklich du mich machst, mein Engel – meine süße Verführerin …«
»Wäre die Trauung doch schon vorbei …«
»Ich werde den Priester bitten, die Zeremonie möglichst kurz zu gestalten.«
»Und ich wünsche mir von dir um so längere Flitterwochen.«
»Wird dir ein ganzes Leben genügen?«
»O ja«, flüsterte sie, und ihre Augen füllten sich mit neuen Tränen.
Als er sie wieder küßte, kicherten die Damen, und die Herren applaudierten wohlwollend. Aber davon merkten Lord Rochefort und seine Braut nichts, in ihrem eigenen Paradies versunken.